Telemedizin Kongress NRW diskutiert Bedarfe und Lösungsansätze

Auf welche Weise können Kommunen die regionale Gesundheitsversorgung mitgestalten? Diese und weitere Fragen diskutierten die Deutsche Gesellschaft für Telemedizin e. V. (DGTelemed) und die ZTG Zentrum für Telematik und Telemedizin GmbH am 27. März beim Telemedizin Kongress NRW. Unter dem Motto „Digital und regional?“ sprachen Expert:innen aus Gesundheitswesen und Politik darüber, wie Kommunen bei der Gestaltung einer zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung unterstützen können.

Denn das Gesundheitswesen steht unter Druck: In vielen Kommunen offenbaren sich Versorgungslücken, da Arztsitze nicht mehr besetzt werden können. Zugleich steht die Krankenhauslandschaft vor einer Strukturreform, die vor allem in ländlichen Regionen vieles verändern wird. Die Kommunen sind aus Sicht der Bürger:innen als zentrale Garanten der Lebensqualität vor Ort deshalb immer mehr gefordert.

Stephan Pohlkamp, Referat Digitalisierung im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen spricht über die Vorhaben der Landesregierung beim Aufbau eines digital gestützten Gesundheitswesens. (Bild: ZTG GmbH)

Stephan Pohlkamp, Referat Digitalisierung im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, gab einen Ausblick auf die Pläne der Landesregierung für den Ausbau einer digital gestützten Gesundheitsversorgung: „Wir haben in Nordrhein-Westfalen viele erfolgreiche Projekte, die auch überregional ausstrahlen. Diese brauchen Zugänge zur Regelversorgung, damit sie in der Fläche ankommen. Denn unser Ziel ist es, allen Menschen im Land die gleichen Versorgungsbedingungen zu bieten, egal ob in der Stadt oder auf dem Land. Um dies zu erreichen, wollen wir intersektorale, telemedizinische Netzwerke weiterentwickeln und eng miteinander verzahnen und telemedizinische Anwendungen, wie das Telemonitoring, voranbringen, um Ärztinnen und Ärzte bei Routinetätigkeiten zu entlasten.“ 

Günter van Aalst, stv. DGTelemed-Vorstandsvorsitzender und ZTG-Aufsichtsratsvorsitzender, bestärkte diese Bestrebungen, die auch Schwerpunkt des aktuellen DGTelemed-Positionspapiers sind: „Regional unterscheiden sich die Bedingungen bei der Gesundheitsversorgung stark. Wir müssen diese Bedingungen so anpassen, dass in der Fläche mehr Versorgungsmöglichkeiten entstehen. Gemeinsames Behandeln ist aus unserer Sicht der Grundstein einer zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung. Dafür müssen wir vorhandene Strukturen und Leistungen besser koordinieren, verzahnen und effizienter gestalten, indem wir Versorgungsnetzwerke schaffen. Um diese zu realisieren, braucht es multiprofessionelles Know-how“.

Mit dem Innovationsfondsprojekt OBERBERG_FAIRsorgt und dem Gesundheitsnetzwerk PORT Willingen Diemelsee e. V. präsentierten zwei regionale Best-Practice-Beispiele ihre zukunftsgerichteten, digital gestützten Versorgungsansätze. Ziel von OBERBERG_FAIRsorgt (Telemedizinpreisträger 2022) ist es, den Oberbergischen Kreis mit Hilfe von Telemedizin bei Prävention, Gesundheitsförderung sowie Pflege- und Versorgungsangeboten speziell für ältere Patient:innen zu unterstützen. 30.000 Menschen sind aktuell in das Projekt integriert. Aufgrund der positiven Zwischenbilanz wird der Aufbau von mind. fünf Gesundheitsregionen sowie einem kommunalen Gesundheitszentrum angestrebt, berichteten Ralf Schmallenbach, Dezernent für Gesundheit Jugend und Soziales, beim Oberbergischen Kreis, und Dr. Jessica Möltgen, Projektleitung OBERBERG_FAIRsorgt.

Das Modellprojekt „Gesundheitsnetzwerk PORT Willingen Diemelsee e. V.“ zeigt, wie ein Landkreis mit Hilfe eines Gesundheitszentrums der steigenden Anzahl an Menschen mit Pflegebedarf im ländlichen Raum begegnet und auch pflegende Angehörige unterstützt. Durch vernetzte Versorgungs- und Kommunikationsstrukturen – auch bundeslandübergreifend – entsteht im Rahmen des Modellprojekts aus Hessen ein umfassendes Versorgungssystem, von dem alle profitieren, so Dr. Katharina Kappelhoff, PORT-Geschäftsführerin.

Welche Unterstützung Ärzt:innen brauchen, um die ländliche Versorgung auch in Zukunft aufrecht zu erhalten, und wie telemedizinische Lösungen dabei helfen können, präsentierte Dr. med. Hans-Jürgen Beckmann, Vorstand Ärztenetz Medizin und Mehr eG (MuM) in Bünde: „Telemonitoring muss in die Versorgung. Auch dafür braucht es ein aktives Engagement der Kommunen und die dringend notwendige Modernisierung des KV-Systems. Insbesondere dort, wo keine Ärztenetze existieren, können Kommunen die entsprechenden Akteurinnen und Akteure zusammenführen, um die dringend notwendigen vernetzten Versorgungsstrukturen zu schaffen.“

V. l. o. n. r. u.: Dr. Jessica Möltgen (OBERBERG_FAIRsorgt), Rainer Beckers (ZTG GmbH), Ralf Schmallenbach (Oberbergischer Kreis), Günter van Aalst (DGTelemed), Dr. Hans-Jürgen Beckmann (MuM eG) und Dr. Katharina Kappelhoff (PORT) diskutierten darüber, wie Kommunen zum Aufbau von Ärztenetzen beitragen können. (Bild: ZTG GmbH)

Die anschließende Diskussionsrunde widmete sich der Frage, wie Kommunen medizinische Netzwerke aufbauen können und welche Verantwortung sie dabei tragen. Die Bedeutung von Arztnetzen sei entscheidend. Dabei waren sich die Diskutant:innen einig. Außerdem müssten relevante Protagonist:innen an einen Tisch gebracht werden. Wie das erreicht werden könnte, gab Dr. Katharina Kappelhoff vom Gesundheitsnetzwerk PORT Willingen Diemelsee e. V. als Impuls mit in die Runde: „Kommunen müssen herausfinden, wie Patient:innenströme auch über Landesgrenzen hinaus fließen, um passende Netzwerke zu schaffen. Auch muss die Frage gestellt werden: Welchen Mehrwert kann man vor Ort generieren? Nur dann kommen Menschen wirklich zusammen, um etwas zu verändern“. Dr. Beckmann ergänzte, man müsse zusätzlich zu den Ärztenetzen auf die kommunale Ebene gehen und mit den Pflegediensten kooperieren. Einzelprojekte seien nicht mehr zeitgemäß. Ralf Schmallenbach betonte, wie wichtig die Unterstützung durch digitale Plattformen sei, um vernetzte Versorgung zu ermöglichen.  

„Wir stehen vor vielen klugen Innovationen. Jetzt gilt es, einen Weg zu finden, wie diese bei den Patientinnen und Patienten ankommen können“, schließt Moderator Rainer Beckers, ZTG-Geschäftsführer, die Diskussion. Deutliche Schlussworte zum Kongress fand auch Prof. Dr. med. Gernot Marx, FRCA, DGTelemed-Vorstandsvorsitzender: „Die Zeit drängt. Sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich stehen immer weniger Versorgende zur Verfügung und die Anzahl an Patient:innen wird ansteigen. Modellregionen können in diesem Zusammenhang einen guten Weg aufzeigen, um innovative Strukturen in die Regelversorgung zu bringen. Denn ohne Digitalisierung und ohne Telemedizin wird es nicht gehen. Wir sind auf dem Weg, aber es bedarf noch hoher Anstrengungen aller Beteiligten“. 

Die Aufzeichnung des Kongresses ist unter folgendem Link zu finden: https://www.youtube.com/watch?v=5eUAdlR4p1Y&t=6715s